Hier finden Sie Zeitungsartikel zum Thema.

Dienstag, 8. Februar 2011

aus: "Westfälisches Volksblatt", Nr. 2 (04.01.2011)

Veranstaltung des SkF zum Umgang mit traumatisierten Kindern

Grenzen setzen, aber richtig

Paderborn. Das kennt man: An der Supermarktkasse steht eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn Jan. Sie erwartet morgen Gäste, der Einkaufswagen ist mit den schönsten Sachen gefüllt: Chips, Pralinen, Getränke. Nun fällt Jans Blick auf die Schokoriegel im Regal und es beginnt das alltägliches Drama. Er quengelt, er wird lauter, er schreit, er wirft sich auf den Boden. Die Mutter, zur Konsequenz entschlossen, gerät zunehmend unter Stress, zumal sie unter Beobachtung der anderen Kunden steht, die ihr laut schweigend den Rat geben: „Jetzt nicht nachgeben!“

Grenzen zu setzen ist in der Erziehung ein Problem, doch wie geht es bei Pflegekindern, die in ihrer Herkunftsfamilie Gewalt und Vernachlässigung erlebt haben, die traumatisiert sind? Zu diesem Thema hatten der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und die Horst-Richter-Stiftung Paderborn Pflegeeltern eingeladen. Der SkF trägt in Paderborn einen Adoptions- und Pflegekinderdienst sowie die „Westfälische Pflegefamilien“, die Horst-Richter-Stiftung kümmert sich um früh traumatisierte Menschen. Als Referentin konnte mit der Münsteraner Gerichtsgutachterin und Psychologin Dr. Martina Cappenberg eine der renommiertesten Fachfrauen zu diesem Thema gewonnen werden.  

Cappenberg machte deutlich, dass Gewalt erfahren zu haben, alles im Leben verändere. „Für Kinder, die misshandelt werden, ist nichts mehr, wie es war“, sagte sie. Solche Kinder erleben ihre Eltern als absolute Bedrohung, „als mörderisch“. Um dennoch zu überleben, entwickeln sie Abwehrstrategien, sie identifizieren sich zum Beispiel mit dem Aggressor. Ein Kind, das immer geschlagen wird, glaubt irgendwann, es sei böse und darum müsse es geschlagen werden. Also verhält es sich immer wie ein böses Kind, es provoziert Bestrafung – auch in der Pflegefamilie und hier droht nun die Tragik: Denn die Pflegeeltern reagieren womöglich so, wie sie bei einem nichttraumatisierten Kind auch reagieren würden: sie strafen. Nicht mit Schlägen, aber mit Fernsehverbot oder anderen Methoden. Jedoch spüren sie rasch, dass es nichts hilft. Aus Cappenbergs Sicht völlig normal: „Wenn ein Kind dem Tod ins Auge geblickt hat, dann macht es ihm nichts aus, mal nicht Nitendo spielen zu dürfen.“ Die Tragik liege in den Signalen, die das Kind dadurch empfange. „Das Kind ist aggressiv geworden, um überleben zu können. Wenn wir es für aggressives Verhalten bestrafen, dann bestrafen wir es dafür, dass es überlebt hat!“ sagte die Psychologin.

Als Ausweg aus diesem Dilemma stellte sie das Konzept des guten Grundes vor. „Ein Kind hat immer einen guten Grund für sein Verhalten!“ Diesen gilt es zu erkennen und dem Kind zu bestätigen: „Nicht du bist böse, sondern das, was du erlebt hast!“ Eindringlich riet sie den Pflegeeltern, in einen Dialog mit den Kindern zu treten und sich ganz auf ihre Seite zu schlagen. „Verbünden Sie sich mit Ihrem Kind, notfalls gegen den Rest der Welt!“ Erst dann nämlich sei es überhaupt möglich, Kontakt zum Kind zu bekommen. Das sei eine „quasi-therapeutische Anforderung“ betonte sie und empfahl den Eltern dennoch: „Entspannen Sie, kommen Sie heraus aus dem Machtkampf. Wenn Ihr Kind mit Ihnen kämpft, ringt es in Wahrheit mit seiner Vergangenheit.“
Das mit dem Machtkampf gilt übrigens auch für den kleinen Jan an der Supermarktkasse. Als Ausweg aus der Situation empfahl die Expertin, ihm klarzumachen: „Es ist manchmal so, dass man nicht alles bekommen kann im Leben und das müssen Mamas ihren Kindern beibringen. Aber wenn wir gleich zu Hause sind, trinken wir einen schönen Kakao, damit es Dir wieder gut geht.“   (CA)





BU: (von rechts): Horst Richter, der aufgrund eigener traumatischer Erfahrungen als Kind eine Stiftung für solche Menschen geründet hat, Dr. Martina Cappenberg, ihre Assistentin Inga Knäpper und SkF-Geschäftsführerin Claudia Englisch-Grothe.

Foto: Auffenberg

Donnerstag, 4. November 2010

aus: "Neue Westfälische", Nr. 197 (25.08.2010)

Aus Erfahrung aggressiv

Hilfe für Pflegekinder und ihre Familien

Paderborn. "Ängste und Aggressionen bei Pflege- und Adoptivkindern" zu diesem Thema hatten die Fachbereiche Adoptions- und Pflegekinderdienst und Westfälischen Pflegefamilien des Sozialdienstes katholischer Frauen Paderborn jetzt eingeladen. Referentin war die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Renate Preising aus Werl. Unterstützt wurde die Veranstaltung durch die Horst Richter-Stiftung, die die Hilfe gegen die Folgen einer frühen Traumatisierung zu ihrer Aufgabe gemacht hat.

Pflege- oder Adoptivkinder sind oftmals Mädchen und Jungen mit einer Lebensgeschichte, die durch traumatisierende Erfahrungen geprägt ist. Vernachlässigung, Gewalt und sexueller Missbrauch sind in aller Regel Auslöser für die Herausnahme eines Kindes aus der ursprünglichen Familie.

Obwohl die Kinder in ihren neuen Familien sehr liebevoll aufgenommen werden, blockieren sie Ängste und Aggressionen im alltäglichen Leben. Ihre Bezugspersonen stoßen im Umgang mit ihnen nicht selten an Grenzen.

Die Referentin, die seit vielen Jahren therapeutisch mit Kindern arbeitet, verdeutlichte in anschaulicher Weise, wie auf die schwierigen Verhaltensweisen angemessen reagiert werden kann. Anhand von zahlreichen Fallbeispielen, wurden mit den Teilnehmenden Hintergründe und ganz konkrete Handlungsmöglichkeiten erarbeitet. Die Eltern berichteten am Ende des Fachtages, dass sie viele neue Anregungen bekommen haben und durch neue Sichtweisen gestärkt in den Alltag zurückkehren.

Eine Pflegemutter bilanzierte zum Schluss: "Es war für mich ein gewinnbringender Tag, ich habe viel gelernt und zudem erfahren, dass ich mit meinen Sorgen nicht alleine bin. Es ist, als wenn sich Türen geöffnet hätten."